Matthäus 7, 21-23

Es werden nicht alle, die zu mir sagen: HERR, HERR! ins Himmelreich kommen, sondern die den Willen tun meines Vaters im Himmel. Es werden viele zu mir sagen an jenem Tage: HERR, HERR! haben wir nicht in deinem Namen geweissagt, haben wir nicht in deinem Namen Teufel ausgetrieben, und haben wir nicht in deinem Namen viele Taten getan? Dann werde ich ihnen bekennen: Ich habe euch noch nie erkannt; weichet alle von mir, ihr Übeltäter! (Matthäus 7, 21-23)

Mittwoch, 1. Juni 2016

Wort für Wort

Liebe Brüder und Schwestern im Herrn,

wie oft lese ich Artikel oder Forumsdiskussionen, in denen die Heilige Schrift als Werkzeug einer brutalen Rabulistik oder Polemik herhalten muß - es ist Beschämend.

Immer wieder bedienen sich die verschiedensten Akteure den Zitaten der Heiligen Schrift, um ihre Ansichten zu untermauern. Es erstaunt mich immer wieder, mit welcher Energie und Akribie die Bibel nach Textstellen durchwühlt wird, welche dann, je nach angedachtem Verwendungszweck, wörtlich oder sinngemäß ausgelegt werden, oder aber speziell aus den verschiedenen Übersetzungen entnommen werden, damit der Wortlaut passt.

Was hier im Grunde genommen passiert, ist ein gröblicher Mißbrauch der Heiligen Schrift zu eigennützigen Zwecken. Es geht gar nicht darum, den Inhalt der Bibel als solchen anzunehmen und zu interpretieren, wie es einem der Heilige Geist eingibt, sondern man nimmt seine eigene Meinung zum Maßstab, und biegt sich den vermeintlichen Inhalt der Heiligen Schrift zurecht.

Bitte denkt darüber nach, liebe Schwestern und Brüder! Wenn ihr mit Bibelzitaten in einen Diskurs einsteigt - geht es Euch tatsächlich um ein wahres Verständnis der Heiligen Schrift, oder wollt Ihr mit der Bibel Eure persönliche Meinung durchzusetzen?

Ich persönlich würde mich schämen, den Anspruch zu erheben, als einziger erkannt zu haben, was irgendeine Textstelle der Bibel final zu bedeuten hat. Und noch mehr würde ich mich schämen, wenn ich das betreffende Zitat  dazu benutzen würde, meine Mitbrüder und -schwestern zu diskreditieren!

Natürlich hat jeder einen bestimmten Eindruck dessen, was die Heilige Schrift für ihn aussagt - das ist für jeden individuell und nicht allgemeinverbindlich. Eine Passage beispielsweise, von hundert Personen gelesen, hat zwar einen festen Grundinhalt, aber einhundert persönliche Perspektiven mit entsprechend erweiterter Aussage. Der Heilige Geist sorgt nämlich dafür, daß die Botschaft der Heiligen Schrift immer so vestanden wird, wie es für den Einzelnen am sinnvollsten ist! Und über diese individuellen Eindrücke kann man durchaus diskutieren - das ist nicht nur spannend, sondern für alle Beteiligten ein Gewinn, weil man den eigenen Erkenntnishorizont erweitern kann, und andere Aspekte kennenlernt.

Nichts anderes haben schon die Kirchenväter vor 2000 Jahren getan, als sich darüber auszutauschen, wie gewisse Dinge aufzufassen seien. Aus diesem Bemühen heraus hat sich ja auch das römisch-katholische Lehramt abgeleitet, daß über Jahrhunderte hinweg seine Inhalte konsolidierte. Hunderte von geistlichen Größen aller Herren Länder haben hier ihren Beitrag geleistet, Diskurse geführt, auf Synoden, auf Konzilien, sich zusammengesetzt und sich geeinigt, um zu verstehen, was die Heilige Schrift einem jeden von uns sagen möchte. Und nicht nur das: Man hat sich auch mit der Frage beschäftigt, wie man die Heilige Schrift lesen sollte - Stichpunkt "Mehrfacher Schriftsinn" (Vierfacher Schriftsinn).

Nun stelle ich aber fest, daß es unzählige Menschen gibt, die sich Christen nennen, und die Bibel lesen wie ein profanes Buch, nach Belieben Zitate aus dem Kontext reissen, und die Inhalte des kirchlichen Lehramtes ablehnen, weil sie der Überzeugung sind, als erste die "echte und einzige Wahrheit" erkannt zu haben. Das ist ein Grundübel vieler charismatischen und freikirchlichen Gruppen, daß jede von ihnen der Überzeugung ist, daß Gott gerade sie dazu ausersehen hat, als einzigste die "Wahrheit" der Heiligen Schrift zu erkennen, und daraus den Anspruch ableiten, eine eigene Kirche oder Gruppe gründen zu müssen. An dieser Stelle muß ich einfach so ehrlich sein, und mein Befremden über alle christlichen Gruppierungen zum Ausdruck bringen, welche Gott auf ein Buch und dessen gedruckte Buchstaben reduzieren wollen!

Liebe Brüder und Schwestern, machen wir uns nichts vor: Entgegen aller böswilligen Behauptungen ist und bleibt die heilige katholische Kirche die älteste, erfahrenste, erste und einzigste Kirche unseres Herrn, da sie von ihm gegründet wurde. Seit zweitausend Jahren lebt diese Kirche, und entwickelt sich kontinuierlich weiter - auch im Verständnis der Heiligen Schrift (z.B. mittels der Lectio Divina).

Verwenden wir also die Bibel nicht als Instrument weltlicher Geltungssucht, Rechthaberei, Machtgier oder Besserwisserei, sondern mit Respekt und heiliger Ehrfurcht. Sie ist das Wort Gottes. Lesen wir sie oft und mit Bedacht, stellen wir ihren Texte immer auch die zweitausendjährige "Lebenserfahrung" unserer Kirche zur Seite, und beten wir um das richtige Verständnis durch den Heiligen Geist. Sprechen und disputieren wir in brüderlicher Liebe über ihre Inhalte, aber mißbrauchen wir sie nicht. Denn das wäre nahezu eine Sünde und Lästerung des Heiligen Geistes, aus dem immer die Liebe Gottes spricht, nie aber menschliche Zwietracht.

Friede sei mit Euch!



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